Friz Walter auf den Schultern von Menschen nach dem WM-Sieg 1954 in Bern.
Foto: LSB-Archiv

Fritz Walter, der große Fußballer und Mensch, hätte am 31. Oktober seinen 100. Geburtstag gefeiert

"Ich möchte nicht, dass sie ständig über mich reden"

„Ich möchte nicht, dass sie wieder ständig über mich reden, wenn morgen der Ottes die Ehrung bekommt“, sagt Fritz Walter und hat geahnt, dass es wieder so kommen wird, wie er befürchtet hat. Sein Bruder Ottmar, der vorne in der ersten Reihe neben seiner Frau Anneliese und Fritz sitzt, wird  in Kaiserslautern geehrt. Und der Laudator, der nicht enden will, und der mehr über sich selbst und viel weniger über Ottmar spricht, hat plötzlich den Fritz im Blick und beginnt ihn zu rühmen. Der wird immer unruhiger, etwa so wie es ist, wenn der Schiedsrichter das Spiel immer noch nicht abpfeift, obwohl der FCK knapp genug führt und der Fritz ohnehin der Meinung ist, dass es am Ende nicht gut ausgehen wird für den Verein, der sein Verein ist. 31 Jahre hat er für ihn gespielt. Unruhig wird er auch, wenn er von hinten angesprochen wird, während er sitzend an einem Tisch Autogramme schreibt. Sie sollen ihn von vorne ansprechen, ihm in die Augen sehen.

  • Im Zweikampf mit Igor Netto von Spartak Moskau.

Und erst recht mag er nicht, wenn der Ottmar geehrt wird und sie sprechen über ihn. Das kann nicht lange gut gehen. Plötzlich sagt er unüberhörbar für alle im Saal und den Laudator übertönend den Satz: „Ich werde nicht geehrt, sondern mein Bruder“. Das musste raus. Ottmar und Ludwig sind seine Brüder, Gisela und Sonja die Schwestern. Friedrich, den sie nur Fritz nennen, ist der Älteste der fünf Kinder des Lauterer Vereinswirts, der mit einer Berlinerin verheiratet ist. Ludwig hat den Krieg nicht überlebt, Ottmar wurde schwer verwundet. Dem Fritz ist es am besten gegangen. Er hat im Krieg sogar Fußball gespielt und Länderspiele absolviert. Ottmar hatte es immer schwerer. Als Kind und später im Leben. Aber Ottmar liebte den Fritz, anerkannte seine Genialität auf dem Platz, auf dem er, der Ottmar,  ein fulminanter Torjäger war. Und Ottmar tolerierte auch die Besonderheiten, die nur dem Fritz zustanden. „Wir mussten immer die Teller leer essen, bevor wir zum Kanälches (Fußballspiel zwischen den Kanaldeckeln) auf die Straße durften. Wenn es dem Fritz nicht schmeckte, hat unsere Mutter ohne Murren den Teller weggenommen.“

Fritz Walter wird am 31.Oktober 1920 in Kaiserslautern geboren. Mit sieben Jahren kommt er in die Schülermannschaft des 1.FC Kaiserslautern. Bis 1959 spielt er nur für diesen Verein. Auch als ihm viel Geld aus Italien und Frankreich für einen Wechsel  nach der Weltmeisterschaft 1954 angeboten wird, bleibt er. Er ist Lauterer, ohne die Pfalz kann er nicht sein. Und das was er braucht, das hat er: Italia, seine Frau – und Fußball. Und Geld haben sie auch genug. 384 Spiele macht der Fritz für den FCK, schießt  327 Tore, wird unzählige Male Meister im Südwesten und Deutscher Meister 1951 und 1953. 61 Länderspiele folgen mit 33 Toren und dem Weltmeister-Triumph 1954 in einem unvergessenen Finale gegen Ungarn. Der 3:2 Sieg, so unerwartet und sensationell, verändert ein ganzes Land, inspiriert zu Optimismus und dem Glauben, dass es wieder etwas werden kann nach dem schrecklichen Krieg, der von deutschem Boden ausging.

Am 2.April 1997, 43 Jahre nach dem WM-Sieg von Bern, reist Fritz Walter nach Budapest. Ferenc Puskas, Ungarns größer Fußballer, einer der genialsten seiner Zeit, der nach dem Volksaufstand 1956 zu Real Madrid geht und dort mit Di Stefano und Gento über Jahre die beste Fußballmannschaft der Welt ausmacht, dieser Puskas wird 70 Jahre alt. Und er hat Fritz Walter, seinen großen Gegenspieler von 1954, eingeladen. Es hat schon Begegnungen der ungarischen  und der deutschen Spieler  gegeben. Das war mühsam gewesen und es war ein zerbrechliches Miteinander. Zu sehr hatte die Niederlage die damals für unbesiegbar gehaltenen ungarischen Fußballer mit einem ganzen Land entzweit. Als sie 1954 nach Budapest zurückkehrten, mussten die Nationalspieler den Hinterausgang des Flughafens nehmen. Nach dem Aufstand zog es die Spieler hinaus in die Welt. Wohl ein Glück für den ein oder anderen. „Die Nation wird uns diese Niederlage erst dann verzeihen, wenn keiner mehr von uns lebt“, hat der ungarische Rechtsverteidiger Jenö Buzanski einmal gesagt. Er starb als Letzter der großen ungarischen Mannschaft im Jahre 2015.

Im April 1997 ist Puskas erst einige Jahre wieder zurück in der Heimat. Er hatte sich in Australien, fern der Puszta, aufgehalten. Es ist ein warmes, liebevolles Verhältnis an diesem Apriltag zwischen Puskas und Fritz Walter. Der Ungar ist milder geworden, er sagt, dass er seine Reise um den Erdball jetzt beendet hat. Und dass er Fritz Walter für einen der ganz großen Fußballer halte und dass die Deutschen 1954 zu recht Weltmeister geworden seien. Ungarn, sagt Puskas, habe nicht nur gegen Deutschland, sondern auch gegen sich selbst verloren. Auf der Bühne des Budapester Nationaltheaters würdigt Fritz Walter den Kapitän der Ungarn. Der hatte ihm 1954 zwar gratuliert, aber an ihm vorbeigesehen. Dass Bild war um die Welt gegangen, aber für die Beiden war es  längst Geschichte. Am 12.April 1997 war in Budapest eine Freundschaft entstanden, die bis zum Tode der Fußballer hielt. Ferenc Puskas, der Künstler mit dem genialen linken Fuß, der magisch die Bälle anzog, starb am 17.November 2006 in Budapest.

  • Nach der Ernennung zum Ehrenbürger wude auch eine Straße in Kaiserslautern nach dem ehemaligen Kapitän der Nationalelf benannt.

Sechs Jahre bevor Fritz Walter und die anderen Lauterer, sein Bruder Ottmar, Werner Liebrich, Werner Kohlmeier und Horst Eckel, und natürlich Toni Turek, Jupp Posipal, Karl Mai, Helmut Rahn, Max Morlock und Hans Schäfer und Trainer Sepp Herberer Weltmeister wurden, gab es ein Ereignis, das Fritz Walter gegen keinen Titel und kein Geld der Welt eingetauscht hätte. Auf dem Lauterer Standesamt heiratet er Italia Bortoluzzi. Die Italienerin, die für die französische Besatzungsmacht in der Pfalz arbeitet. Eigentlich gibt es nur Widerstände. Wie kann der Bub aus der Pfalz eine Ausländerin heiraten? Auch Sepp Herberger, der dann doch Trauzeuge wird, rät ihm ab. „Die kann nicht häkeln und stricken, nicht kochen und die wird den Fritz im Bett kaputtmachen“, hat einer geschrieben. Friedrich Walter hat alles überlebt. „Es war der schönste Tag meines Lebens und unsere Goldene Hochzeit 1998 war für Italia und mich die Vollendung eines glücklichen Lebens“, hat Fritz Walter gesagt.  Seine geliebte Frau, die sich über Jahre in Alsenborn schon zurückgezogen hatte, starb am 14. Dezember 2001. Sie hatte die Demütigungen, die sie vor der Heirat mit Fritz erfahren hatte, nie ganz verwunden. Sie ist Zeit ihres Lebens sehr zurückhaltend mit Freundschaften umgegangen. Für Fritz Walter war der Tod von Italia, die ihn durch das Leben geführt hatte, auch das Ende seiner Träume und Erwartungen. Kein WM-Titel, keine WM in Kaiserslautern, für die er ab 2001 noch mit warb, konnten ihn über Italias Tod hinwegtrösten. „Jetzt möchte ich so schnell wie möglich bei ihr sein“, hat er Freunden anvertraut.

1985 erhielt das Stadion auf dem legendären Betzenberg in Kaiserslautern seinen Namen, 1999 entstand die Fritz Walter Stiftung, die bis heute Großartiges im Geiste von Fritz Walter bewegt. Aus all den nationalen und internationalen Würdigungen ragen die des Ehrenbürgers der Stadt Kaiserslautern und des Landes Rheinalnd-Pfalz heraus. Er ist der einzige Ehrenbürger seines Landes. Mehr Ehre geht für einen Fußballer und für diesen Sport nicht. Und als eine Lauterer Schule für behinderte Kinder und Jugendliche seinen Namen erhielt, hat ihn das sehr stolz gemacht. Er wollte immer für die Menschen am Rande der Gesellschaft da sein: für Behinderte und auch für Strafgefangene, die er im Namen der Herberger-Stiftung besuchte.

Am 17. Juni 2002 starb Friedrich Walter in Alsenborn. Jetzt war er Italia wieder ganz nahe, so wie er es gewollt hatte. Der Welt hat er hinterlassen, dass sich Tugenden wie Treue und Verlässlichkeit, die Liebe zur Heimat, ein Leben in großer Bescheidenheit sehr wohl damit verbinden lassen, einer der größten Fußballer seines Landes und ein in jeder Beziehung besonderer Mensch gewesen zu sein.

Text: Hans-Peter Schössler