Netzwerktreffen des LSB im Rahmen der Aktionswoche „Sport lebt Vielfalt“ erstmals im digitalen Format / „Barrieren in den Köpfen abbauen, Herz einschalten“
„Inklusion gewinnt – aber zurzeit hat das Virus die Oberhand“
10.11.2020 – Michael Heinze
„Inklusion gewinnt – aber zurzeit hat das Virus die Oberhand“, formulierte Matthias Rösch, Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen und seit Mitte der 80er Jahre selbst Rollstuhlnutzer, gleich zu Beginn treffend. „Das betrifft auch viele unserer Aktivitäten, wir müssen viel improvisieren und umstellen und lernen so auch wieder neue Barrieren kennen – aber das gehört alles dazu.“ Das Pilotprojekt mit den Sport-Inklusionslotsen sei eine prima Idee. „Gut, dass wir so ein Konzept auf die Beine gestellt haben“, so Rösch. „Die Beratung und die Vernetzung sind total wichtig, um über den Tellerrand hinaus zu schauen.“ Nach einem Tipp gefragt, wie man in Corona-Zeiten den Kontakt zu den Einrichtungen optimieren könne, meinte der Landesbeauftragte: „Gut wäre, mit den Bewohnerbeiräten oder auch mit den Werkstattbeiräten zusammenzuarbeiten.“ Er stelle fest, dass es einen Digitalisierungsschub gegeben habe. In jedem Fall sei „sehr viel Kreativität gefragt“. Eine Option seien etwa digitale Trainingseinheiten, Zoom-Fitnessstunden oder ähnliches.
Sinn und Zweck des Netzwerktreffens war es auch, der Zielgruppe des Sport-Inklusionslotsenprojektes eine Stimme zu geben. Ein Verein, der sich gemeinsam mit dem SV Wiesenthalerhof mithilfe des Sport-Inklusionslotsen Maurice Bessling auf den Weg in eine inklusive Sportlandschaft gemacht hat, ist der SV Spesbach. „Der inklusive Kids Kick am 6. September war für uns gelebte Inklusion“, urteilte Bessling. Fred Nageldinger, Betreuer des Spesbacher Integrationsteams und selbst Vater eines 26 Jahre alten Jungen mit geistiger Behinderung, beklagte einen akuten Mangel an Übungsleitern. Wobei eines für ihn feststeht: „Ein Übungsleiter braucht vor allen Dingen ein gutes Herz und viel Willen – ob er eine Lizenz hat, ist für uns nicht maßgebend.“ Viel wichtiger sei, dass er gut mit Kindern umgehen könne.
Thema bei dem digitalen Format war auch der Sport-Inklusionslotse als Unterstützer, Bindeglied, Ansprechpartner und Nachhaker für Menschen mit Behinderung und Vereine. „Ich würde mir wünschen, dass die Vereine sich ein bisschen mehr trauen, den Kindern ein bisschen mehr die Türen öffnen würden – dann würde manches nicht so schwer fallen und vieles wäre nicht so kompliziert“, sagte die Mainzerin Rachida Toujouti, Mama eines Mädchens mit Down-Syndrom. „Mein größter Wunsch wäre es, dass meine Tochter schwimmen lernt.“ Der zuständige Sport-Inklusionslotse Benedikt Roos berichtete: „Wenn man in den vergangenen Monaten den Kontakt zu Vereinen, Übungsleitern und Co. gesucht hat, kam meistens nichts. Die waren nicht so offen, wie man sich das vielleicht gewünscht hätte.“ Auf der anderen Seite gebe es auch zahlreiche positive Beispiele, wenn man den Ansprechpartner*innen erst einmal aufgezeigt habe, welche Wege und Möglichkeiten es gibt. Seine Kollegin Kathleen Dollmann aus Nieder-Olm verriet, sie appelliere stets an die Übungsleiter*innen in den Vereinen: „Seid einfach mal offen. Baut die Barrieren in euren Köpfen ab – und schaltet euer Herz ein.“
Als die Beförderungsproblematik von Sportler*innen mit Einschränkungen aufs Tapet kam, plauderten Inklusionslotse Reiner Plehwe und sein Schützling Chicco, ein Fußballer aus dem Raum Kruft im nördlichen Rheinland-Pfalz, aus dem Nähkästchen. Zu Wort kamen auch zwei Fachleute aus dem Bereich „Mobilität und Assistenzbedarf“. Laut Rösch handelt es sich dabei gerade in einem Flächenland wie RLP um eine zentrale Fragestellung – „wir brauchen hier eine individuelle Unterstützung“. Dass der organisierte Sport sehr bemüht ist, inklusive Prozesse voranzutreiben, davon konnte sich der Landesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen eindrucksvoll überzeugen.
Auch Claudia Altwasser, für Gesellschaftspolitik zuständige LSB-Vizepräsidentin, zeigte sich „begeistert von so vielen guten Beispielen und so vielen Aktionen. Wir wissen, dass wir dicke Bretter zu bohren haben – aber wir haben schon einige Löcher gebohrt und auch in Corona-Zeiten super tolle Sachen auf die Beine gestellt“. Die zuständige LSB-Referentin Silvia Wenzel, die das Netzwerktreffen moderierte, resümierte: „Ich freue mich, dass wir das Abenteuer mit dem digitalen Format gewagt haben und dass es gut geklappt hat.“ Wie Wenzel ankündigte, soll die eine oder andere Veranstaltung der Aktionswoche nachgeholt werden, wenn sich der Pandemie-Index wieder freundlicher gestaltet.
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